Remissionsprozesse von pathologischen Glücksspielern/innen im 3-Jahresverlauf

Projektteam: Sven Buth, Sascha Milin, Charlotte Kleinau, Dr. Jens Kalke

Laufzeit: April 2015 – Februar 2016

Hintergrund und Ziele der Studie

Die Lebenszeitprävalenz für pathologisches Spielen liegt nach den Ergebnissen der PAGE-Studie in Deutschland bei ca. 1% (Meyer et al., 2011). Absolut sind dies mehr als eine halbe Million Personen. Nahezu zwei Dritteln dieser Spieler ist es jedoch gelungen, ihre Spielsucht aus eigener Kraft (Spontanremission) oder unter Inanspruchnahme formeller Hilfe zu über-winden. Belastbare Aussagen zum Ablauf, zur Struktur und zu den Einflussfaktoren von Remissions- und Rückfallprozessen bei pathologischen Glücksspielern/innen (PGS) lassen sich in der internationalen Literatur aber kaum finden. Dafür bedarf es Longitudinalstudien (Nower & Blaszczynski, 2008), die in diesem Forschungsbereich bisher sehr selten sind. In der vorliegenden Untersuchung konnte eine solche Längsschnittanalyse realisiert werden, da von den meisten Stichprobenteilnehmern/innen einer vorangegangenen Studie („Selbstheilung bei pathologischen Glücksspielern“) das Einverständnis vorlag, diese nochmals kontaktieren zu dürfen (Buth et al. 2014).

Die vorliegende Studie geht zum einen der Frage nach, wie sich die Remissions- und Rückfallprävalenzen in einem Dreijahresverlauf entwickeln; zum anderen werden dabei potentielle Faktoren für die Aufrechterhaltung der Glücksspielabstinenz und des pathologischen Spielens bzw. des Rückfalls in die Spielsucht analysiert. Auch die Art und Intensität der Inanspruchnahme sowie die Angemessenheit von Hilfemaßnahmen im Dreijahresverlauf werden untersucht, um mögliche Defizite in der Prävention und in der Versorgung von pathologischen Glückspielern/innen aufzudecken.

Methodik

Die potentiell erreichbare Stichprobe umfasste 336 Personen aus der vorangegangenen Studie. Von diesen konnten insgesamt 97 Personen nicht kontaktiert werden bzw. verweigerten die Teilnahme an einer erneuten Befragung, so dass die finale Stichprobe 239 Personen beinhaltet. Die Wiedererreichungsquote beträgt somit 71%.
Die Teilnehmer/innen sind im Rahmen von telefonischen, schriftlichen und internetgestützten Interviews zu ihrem aktuellen und früheren Spielverhalten, zu glücksspielbezogenen Problemen, zur Inanspruchnahme von Hilfen, zu den Barrieren einer solchen Inanspruchnahme, zu Spielmotiven, zu Gründen für die Remission, zum aktuellen Gesundheitsstatus u.v.m. befragt worden. Sofern verfügbar, kamen jeweils international anerkannte Instrumente zum Einsatz. Ausgehend von dem Status bei der Erstbefragung werden in der vorliegenden Studie zwei Gruppenvergleiche durchgeführt: Es werden die durchgängig remittierten mit den rückfälligen Personen sowie die weiterhin pathologisch spielenden mit den neu remittierten Personen verglichen. Für diese vier Gruppen ergaben sich folgende Fallzahlen: durchgehend remittiert (RERE): N=90, remittiert? pathologisch (REPA): N=23, durchgehend pathologisch (PAPA): N=61 und pathologisch? remittiert (PARE): N=53. Für valide geschlechtsspezifische Auswertungen sind die Fallzahlen der Gruppen – vor allem bei den Frauen – zu gering.

Ergebnisse

Den allermeisten der zum Zeitpunkt der Erstbefragung remittierten Personen (82%) gelingt es, diesen Status aufrechtzuerhalten, wobei ein kleinerer Teil (10%) von ihnen zwischendurch wieder pathologisch gespielt hat. Von einem Rückfall in ein pathologisches Spielverhalten ist demnach etwas weniger als ein Fünftel betroffen. Deutlichere Veränderungen zeigen sich hingegen bei den (ehemals) pathologisch Glücksspielenden. 54% verharren nach 3 Jahren zwar weiterhin in einem pathologischen Spielverhalten, 46% haben jedoch ihre Spielprobleme überwunden.
Beim Vergleich der beiden vormals pathologisch spielenden Gruppen (PAPA vs. PARE) zeigt sich ein statistisch bedeutsamer Unterschied: Personen, die von einer mindestens ausreichenden sozialen Unterstützung berichten, haben eine 2,5-fach höhere Wahrscheinlichkeit im Dreijahresverlauf zu remittieren als diejenigen, die bei der Gestaltung ihres Alltags auf sich allein gestellt sind.

Die REPA berichten signifikant häufiger von Geldproblemen als die RERE (77% zu 32%). Beim Vergleich der Subgruppen PAPA und PARE ist es ebenfalls so, dass in der erstgenannten Gruppe ein viel größerer Anteil von finanziellen Schwierigkeiten betroffen ist als in der zweiten Gruppe (81% vs. 35%).

Bezogen auf die Lebenszeit zeigen sich hinsichtlich der Prävalenz psychischer Symptome zwischen RERE und REPA sowie PAPA und PARE keine statistisch bedeutsamen Unterschiede. Hingegen haben Personen, die von aktuellen psychischen Problemen betroffen sind, ein drei- bis vierfach höheres Risiko, zur Gruppe der REPA zu gehören (gegenüber RERE). Ein ähnliches Ergebnis findet sich beim Vergleich von PAPA und PARE.
Bei den dysfunktionalen Bewältigungsmustern weisen die PARE-Befragten einen signifikant geringeren Durchschnittswert auf als PAPA.

Schlussfolgerungen

Aus den Befragungsergebnissen wird deutlich, dass eine gute soziale Unterstützung hilfreich für Remissionsprozesse ist. Dieses kann als Hinweis verstanden werden, die Angehörigenarbeit weiter zu optimieren.
Ein pathologisches Spielverhalten führt in der Regel zu substanziellen finanziellen Problemen. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass diese Belastungen einen Rückfall in die Spielsucht begünstigen. Hier wird also die Frage nach einer frühzeitigen und bedarfsgerechten Schuldenregulierung aufgeworfen und ob in diesem Sinne, das Hilfesystem (Verzahnung Sucht- und Schuldenhilfe) optimal aufgestellt ist.
Noch bedeutsamer für eine erfolgreiche Remission bzw. einen Rückfall sind offensichtlich psychische Komorbiditäten. Insbesondere Personen, die schon vor Beginn des problematischen Spielens von psychischen Belastungen betroffen waren, fällt es offensichtlich schwer, das Glücksspielen nachhaltig zu reduzieren oder zu beenden. Es sollten daher alle Personen, die aufgrund eines Spielproblems eine Hilfeeinrichtung aufsuchen, systematisch nach aktuellen und früheren psychischen Belastungen gefragt (untersucht) werden. Sind solche vorhanden, müssten parallel zur Behandlung der Glücksspielproblematik auch immer Maßnahmen erfolgen, welche auf eine Linderung der psychischen Symptomatik fokussieren.
Da ADHS nach den vorliegenden Ergebnissen einen bedeutsamen Risikofaktor für den Rückfall in die Spielsucht darstellt, sollten zukünftig das Screening und die Behandlung dieser Störungen Teil des Maßnahmenpaketes zur erfolgreichen Überwindung einer Spielsucht sein. Des Weiteren liefert die vorliegende Studie Hinweise darauf, dass Remissionsstatus und Problemlösungskompetenzen in enger Beziehung stehen. Es sollte geprüft werden, inwieweit Programme zur Vermittlung adaptiver Copingstrategien und zur Steigerung der Selbstwirksamkeit zukünftig im Rahmen der Behandlung einer Glücksspielsucht gezielter zum Einsatz kommen könnten.
Es konnten in der Studie keine empirischen Befunde dafür gefunden werden, dass bestimmte suchtspezifische Hilfen Remissionsprozesse fördern bzw. die Nicht-Inanspruchnahme zu Rückfallprozessen führt. Insgesamt wird jedoch die Relevanz des Hilfeangebotes für einen erheblichen Teil der (ehemaligen) PGS unterstrichen. Darüber hinaus zeigt die Analyse des Inanspruchnahmeverhaltens, dass pathologische Glücksspieler/innen auch auf Angebote außerhalb des eigentlichen Suchthilfesystems zurückgreifen (siehe hierzu auch Kalke & Buth, 2016). Das gilt insbesondere für die Schuldnerberatung, aber auch für Informationen aus dem Internet. Diese Angebote sollten ausgebaut und sinnvoll mit der Suchthilfe und -prävention vernetzt werden. Es ergeben sich (erneut) Befunde, die darauf verweisen, welche wichtige Bedeutung Vermeidungsstrategien für die Aufrechterhaltung der Remission haben. Entsprechende Verhaltenstipps sollten zukünftig verstärkt in Prävention und Hilfe eingesetzt werden.

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