Selbstheilung bei pathologischen Glücksspielern. Eine empirische Untersuchung zu den Möglichkeiten, mit Hilfe von Spielerschutzmaßnahmen Selbstheilungsprozesse zu initiieren und zu fördern.

Projektteam: Sven Buth, Sascha Milin, Elke Rühling, Dr. Jens Kalke

Laufzeit: 2012 – 2013

Vor dem Hintergrund des national und international defizitären Forschungsstandes zu Remissionsprozessen bei pathologischen Glücksspielern sind mit der Durchführung dieser Studie zwei primäre Ziele verbunden. Zum einen soll es ermöglicht werden, die Gruppe der Selbstheiler/innen auf Basis einer gesicherten empirischen Grundlage detailliert zu beschreiben (Analyseteil I). Darauf aufsetzend besteht das zweite Hauptziel in der Identifizierung von Indikatoren, die erklären, warum es einer großen Zahl von pathologischen Glücksspielern/innen (PGS) gelingt, aus der Spielsucht herauszuwachsen, andere jedoch auf professionelle Hilfe angewiesen sind bzw. in ihrer Sucht verharren. Es soll dabei insbesondere untersucht werden, wie sich diese Erkenntnisse für eine Verbesserung der Maßnahmen zum Spielerschutz nutzen lassen (Analyseteil II).

Durchführung, Methodik

Insgesamt 347 Personen sind im Rahmen von telefonischen, schriftlichen und internetgestützten Interviews zu ihrem aktuellen und früheren Spielverhalten, zu glücksspielbezogenen Problemen, zur Inanspruchnahme von Hilfen, zu den Barrieren einer solchen Inanspruchnahme, zu Spielmotiven, zu kognitiven Verzerrungen, zum aktuellen Gesundheitsstatus u.v.m. befragt worden. Sofern verfügbar, kamen jeweils international anerkannte Instrumente zum Einsatz. Die Rekrutierung der Stichprobe erfolgte vorrangig über Anzeigen bzw. Hinweise zur Studie, welche in Wochenblättern, einer Tageszeitung, in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Internetportalen platziert wurden. Zudem sind gesperrte Kunden/innen einer Spielbank und ehemalige Teilnehmer/innen der PAGE-Studie um Teilnahme gebeten worden. Zwecks besserer Abgrenzung der Untersuchungsgruppen sind letztendlich 260 ehemalige bzw. aktuelle PGS in die nachfolgenden Analysen eingeschlossen worden: Selbstheiler/innen (N=62); Remittierte mit formeller Hilfe (N=54); PGS ohne formelle Hilfe (N=84) und PGS mit formeller Hilfe (N=60). Die Auswertungen erfolgen in Form von Gruppenvergleichen. Die Studie begann im September 2012 und endete 13 Monate später.

Analyseteil I: Vergleich der ehemaligen und aktuellen pathologischen Glücksspieler/innen mit und ohne formeller Hilfe

Selbstheiler/innen unterscheiden sich hinsichtlich demografischer und sozialstruktureller Merkmale kaum von den anderen drei Untersuchungsgruppen. Auch in Bezug auf die Anzahl der erfüllten DSM-IV-Kriterien und die Dauer der Spielprobleme zeigen sich nur kleinere Unterschiede. Hingegen empfinden im Vergleich zu den Selbstheilern/innen deutlich mehr Remittierte mit formeller Hilfe im Rückblick die eigene Spielsucht als schwerwiegend. In allen vier Gruppen werden mehrheitlich die Automaten in den Spielhallen und – schon zu deutlich geringeren Anteilen – in den Spielbanken als problemverursachende Glücksspielart genannt.
Sehr viele Studienteilnehmer/innen haben akute psychische Probleme. Je nach Untersuchungsgruppe sind zwischen ein Drittel und drei Viertel von ihnen aktuell von depressiven Symptomen betroffen. Hinsichtlich der Frage nach früheren ambulanten wie stationären Behandlungen aufgrund einer Depression finden sich die höchsten Anteile jeweils bei den Betroffenen, die auch von einer Inanspruchnahme glücksspielbezogener formeller Hilfe berichten.
Gefragt nach den Motiven der Teilnahme am Glücksspiel spielt neben dem möglichen Geldgewinn und der Schaffung bzw. Steigerung von subjektiv als angenehm empfundenen Gefühlszuständen insbesondere das Coping eine wichtige Rolle. So ist mit der Teilnahme am Glücksspiel oftmals die Hoffnung verbunden, von bestehenden Sorgen oder Problemen abzulenken oder negativen Stimmungen zu entfliehen. Insbesondere die Befragten, die schon einmal formelle glücksspielbezogene Hilfe in Anspruch genommen haben, weisen hinsichtlich dieser maladaptiven Bewältigungsstrategien deutlich erhöhte Werte auf.
Die Ergebnisse dieses Analyseteils liefern nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass Selbstheilungsprozesse mit vertretbarem Aufwand gezielt befördert werden können. Hierfür wären Maßnahmen notwendig, mit denen es gelingt, psychisch belasteten Menschen frühzeitig, effizient und dauerhaft zu helfen, so dass ein Entfliehen vor den Problemen mit Hilfe des Glücksspiels nicht mehr notwendig ist.

Analyseteil II: Ansätze für Prävention und Hilfe

Die Analyse des Inanspruchnahmeverhaltens zeigt, dass die Remittierten mit formeller Hilfe in stärkerem Maße auf Angebote außerhalb des eigentlichen Suchthilfesystems zurückgreifen als dies bei den Selbstheiler/innen der Fall ist. Auch bei den Ergebnissen zu den persönlichen Strategien zur Beendigung des exzessiven Spielens bzw. zur Aufrechterhaltung des Spielstopps ergeben sich für die Selbstheiler/innen durchgängig geringere Prozentanteile; bei vielen Vermeidungsstrategien liegen signifikante Abweichungen zugunsten der Remittierten mit formeller Hilfe vor.

Insgesamt lassen sich keine Maßnahmen oder Strategien identifizieren, die für die Förderung von Selbstheilungsprozessen eine spezifische Relevanz hätten. Vielmehr ergeben sich insgesamt – wenn die Ergebnisse für die Remittierten mit und ohne formeller Hilfe zusammen betrachtet werden – einige wichtige Hinweise darauf, in welchen Bereichen das Präventions- und Hilfeangebot für problematische und pathologische Glücksspieler/innen ausgebaut werden sollte. Insbesondere sind hier zu nennen: die Entwicklung von Tipps über Erfolg versprechende Vermeidungsstrategien des Spielens; die Ausweitung des Sperrsystems auf weitere Glücksspielstätten (z. B. Spielhallen); die Verstärkung der Kooperation zwischen der Suchthilfe und der Schuldnerberatung sowie die Weiterentwicklung von Selbsthilfe-Materialen.

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